Typhula filiformis
Binsenkeule
Fast immer werden sie übersehen, wenn nicht, für Gräser gehalten. Meine Frau nennt sie Zahnstocher, die zierlichen Binsenkeulchen. Auf diese in der Tat sehr häufige Art habe ich in einem ausführlichen Fundkorb-Artikel aufmerksam gemacht, der 1999 im Tintling veröffentlicht wurde:
1. Ein fast perfekter Tarnkappenpilz
Die zierlichen Binsenkeulen gehören zweifellos zu den Arten, deren Häufigkeit vielerorts noch nicht erkannt worden ist. Der Grund: sie sind wie geschaffen, um übersehen zu werden. Als hätten sie Tarnkappen auf, machen sie sich in der Laubstreu trotz massenhaften Auftretens selbst für aufmerksam umherspähende Pilzsucher unsichtbar. Sie werden einfach nicht wahrgenommen, auch wenn man mitten in einer mehrere Quadratmeter großen Fläche steht, auf der es von Fruchtkörpern nur so wimmelt und man schon Dutzende zertreten hat.
Meinen ersten Fund verdanke ich einer Gruppe von Elfenbeinschnecklingen. Als ich mit der Kamera auf dem Boden kniend mein fotogenes Motiv anvisiere, erscheinen sie wie aus dem Nichts hervorgezaubert in meinem Blickfeld. Weiß der Geier, wie viele Funde mir in all den Jahren zuvor entgangen sind, aber seither habe ich einen Blick für die schlanken Keulchen entwickelt, die Zahl der Fundpunkte im Rhein-Main-Gebiet auf 28 gesteigert und eine Erfahrung gemacht, die unter Pilzfreunden als vertrautes Phänomen bekannt ist: hat man eine bestimmte, vielleicht Jahre lang vergeblich gesuchte Art zum ersten Mal gefunden, begegnet man ihr plötzlich immer wieder. Das Pilzauge ist programmiert.
2. Beschreibung
Fruchtkörper fadenförmig, gerade aufragend oder mehr oder weniger verbogen, selten verzweigt, oben spitz bis abgerundet zulaufend, an der Basis leicht verschmälert und meist gekrümmt dem Substrat aufsitzend, hohl, elastisch, bis 8 cm hoch, hell ockerfarben, im Alter dunkelnd. Sporen 6 – 10 X 3 – 5 µm, elliptisch, glatt, inamyloid.
3. Vorkommen
September bis November auf vermodernden Blättern verschiedener Laubbäume. Eigene Funde ganz überwiegend auf Blättern von Eiche und Buche, aber auch Erle und Birke, meist in großen Scharen von manchmal mehr als tausend auf 2 -3 Quadratmetern.
4. Verwechslung
Sehr ähnlich ist das Linsen-Fadenkeulchen Typhula phacorrhiza Fr., das jedoch einem linsenförmigen, ca. 3 mm großen Sklerotium entspringt, kleinere, dünnere Fk entwickelt, aber größere Sporen besitzt. Diese Art fand ich mehrfach auf moderndem Erlenlaub, einmal in einem Petersiliebeet. Auch sie ist im Rhein-Main-Gebiet (null Fundpunkte!) kaum beachtet oder übersehen worden, an geeigneten Standorten wie Erlenbruch-und auwaldähnlichen Biotopen jedoch durchaus präsent.
5. Diskussion
In der Literatur finden sich widersprüchliche Angaben über Vorkommen und Häufigkeit der Binsenkeule. Breitenbach & Kränzlin geben als Substrat „faulende Stengel von Kräutern, Knospenschuppen, Reste von Blättern und Zweigen“ an und bezeichnen die Art als selten. Für das Linsen-Fadenkeulchen nennen sie „abgefallene, modernde Blätter“ und ein verbreitetes Vorkommen. Diese Angaben sind reziprok zur Auffassung anderer Autoren und decken sich auch nicht mit meinen Beobachtungen, nach denen M. filiformis die eindeutig häufigere und Falllaub besiedelnde Art ist. Sie mag, wie bei Krieglsteiner (1985) nachzulesen, frische Au- und Edellaubwälder bevorzugen, ist aber bei ausreichender Feuchtigkeit auch auf ärmeren Sandböden keine Seltenheit. Im Rhein-Main-Gebiet dürfte sie in kaum einem größeren Laubwald fehlen. Krieglsteiner räumt ein, dass die bisher festgestellte Verbreitung der Binsenkeule, weil leicht zu übersehen, noch stark ergänzungsbedürftig sei. Er fügt aber hinzu:
Hat man sich einmal auf die zierlichen Keulchen eingesehen, findet man sie in den entsprechenden Wäldern auf Schritt und Tritt.“
Es lohnt sich also, nach dieser Art Ausschau zu halten. Aus eigener Erfahrung kann ich versichern, dass der erste Fund trotz der vom Habituswenig spektakulär erscheinenden Pilzchen ein beeindruckendes Erlebnis ist.