Onygena corvina
Gewöll-Hornpilz
Man hat den Ansfeldwald schon oft als „Wundertüte“ bezeichnet – und diesem Anspruch ist er mit dem oben abgebildeten Fund wieder einmal gerecht geworden. Auf den ersten Blick hatte es den Anschein, als seien die winzigen Pilzchen am blau schillernden Deckflügelrand eines toten Käfers gewachsen. Vom Habitus waren sie leicht der Gattung Onygena (Hornpilze) zuzuordnen, aber eine erste Recherche ergab, dass keine der Hornpilzarten auf chitinhaltigen Insektenresten fruktifiziert. Die Kombination „Insektenreste“ und „kleine gestielte Pilze“ lässt vielmehr an Kernkeulen (Cordyceps) denken, die jedoch beim vorliegenden Fund auszuschließen waren.
Das Bröckchen Erde mit dem sichtbaren Teil des Deckflügels und den kleinen Pilzen konnte leicht vom Waldboden aufgenommen werden. Es schien in sich verklumpt zu sein, so dass ein innerer Zusammenhalt gegeben sein musste. Der wurde sichtbar, nachdem Hermine Lotz-Winter eine oberflächliche Erdschicht mit größter Behutsamkeit entfernt hatte. Es war ein auf dem Foto gut erkennbares Gewölle, wie es vorwiegend von Greif- und Eulenvögeln ausgewürgt wird und aus unverdaulichen Nahrungsresten wie Haaren, Federn oder Knochen besteht. Damit war das Substrat identifiziert und mit ihm auch der Pilz, der als Gewöll-Hornpilz bekannt ist und zu den Schlauchpilzen (Ascomyzeten) gehört. Wie seine näheren Verwandten ist dieser darauf spezialisiert, Keratin zu verwerten, eine Substanz, die in Haaren, Hörnern, Hufen, Fingernägeln etc. vorkommt. Die Flügeldecke des Mistkäfers musste zufällig in das Substratklümpchen gelangt oder Bestandteil des Speiballens gewesen sein.
Unsere etwa 3 mm hohen Pilzchen hatten weißliche Stiele und blass ockerfarbene rundliche Köpfchen, deren kleiige Oberfläche bei Reife zerfällt und eine pulverige Masse aus Asci und Hyphenresten freigibt. Die mikroskopische Untersuchung durch Hermine Lotz-Winter bestätigte Onygena corvina. Die Asci haben keinen Öffnungsmechanismus wie die meisten anderen Schlauchpilze, sondern entlassen beim Zerfall ellipsoide Sporen mit zwei Öltröpfchen, die bei trockener Witterung vom Wind verbreitet werden. Die Beachtung von Habitus und Substrat erlaubt aber schon eine makroskopische Bestimmung der vier in Europa vorkommenden Onygena-Arten. So wächst der Kuh-Hornpilz Onygena equina auf liegenden Hörnern und Hufen von Rindern.
Es ist davon auszugehen, dass der Pilz nicht selten ist, aber leicht übersehen wird. In Hessen gibt es bis jetzt außer dem Neufund im Ansfeldwald nur zwei weitere Nachweise aus Seligenstadt und Zellhausen von Hermine Lotz-Winter und Dieter Gewalt aus den Jahren 2006 und 2012, ebenfalls von einem Gewölle mit Haaren und kleinen Knochen.