Coprinopsis alopecia
Großer Rausportintling
Juni 1984 in Buchschlag: Irgendwie kamen mir die Faltentintlinge, die ich am Kriegerdenkmal gesehen hatte, nicht geheuer vor. Ich kehrte an den Fundort zurück und betrachtete mir die büschelig am Stammgrund eines Ahornbaumes wachsenden Pilze etwas genauer. Grubige Runzeln auf den meist kahlen Hutmitten wie auch die schwarz punktierten Stiele reiferer Fruchtkörper passten nicht ins Bild. Also war Bestimmungsarbeit angesagt. Mit dem Moser-Schlüssel gelangte ich zügig zur entscheidenden Frage: raue oder glatte Sporen? Da ich damals noch kein Mikroskop besaß, bat ich Pilzfreundin Ursula Wagner um Hilfe. Sie fand warzige Sporen und damit hatte der Pilz seinen damaligen Namen: Coprinus alopecia, der Große Rausportintling, den man zu Recht als Doppelgänger des Faltentintlings bezeichnen kann. Seine Fruktifikationsperiode dauerte mit nur kurzen Unterbrechungen bis in den Oktober. Die Pilze erschienen in Büscheln von 3 bis über 30 Exemplaren, umkreisten den Baum wie ein Uhrwerk, mal direkt am Stamm oder in bis zu 40 cm Entfernung.
Die Erkenntnisse vom Kriegerdenkmal veranlassten mich, einen früheren, als Faltentintling notierten Fund zu überprüfen. Nach zwei erfolglosen Fahrten zum Jacobiweiher (Frankfurter Stadtwald) klärten sich auch hier die Fronten. Die schwarz punktierten Stiele sporulierender Fruchrkörper deuteten auf C. alopecia hin, ebenfalls an Ahorn. Sicherheitshalber wurden die Sporen untersucht und beseitigten die kaum noch vorhandenen Zweifel. In der Folgezeit kamen noch zwei weitere Kollektionen hinzu, beide an Buche: am Jacobiweiher, ca. 500 m vom zuvor erwähnten Fundort entfernt, sowie am St. Albanusberg bei Langen.
Meine Fundmeldungen für das Kartierungsprogramm wollte German J. Krieglsteiner seinerzeit nicht ungeprüft übernehmen. Die Skepsis war angesichts meiner damaligen Pilzkenntnisse durchaus angebracht. Er bat mich, Foto und Frischmaterial zur Revision an seinen Freund und Tintlingsspezialisten Manfred Enderle zu schicken. Es zu beschaffen, war kein Problem. Der Ahornbaum am Kriegerdenkmal brachte stets Nachschub hervor, obwohl ihm keine Mykorrhizabindung mit seinem treuen Begleiter nachgesagt werden kann. Nun lassen sich Tintlinge nicht so ohne weiteres auf dem Postweg verschicken, ohne unter genetisch bedingter Selbstauflösung (Autolyse) zu leiden. In welchem Zustand sie beim Empfänger ankamen, bedarf wohl keiner näheren Beschreibung. Immerhin enthielt die schwarze Brühe genügend nachprüfbare Sporen, deren Untersuchung meine Bestimmung bestätigte. Allerdings bedarf es nach meiner Erfahrung nicht unbedingt einer Sporenprüfung. Die Art ist auch ohne Mikroskop zu erkennen. Man achte auf den Stiel! Im Gegensatz zum Faltentintling ist er fein flockig (Lupe!), aber mit Beginn der Sporenreife bedarf es nicht einmal mehr optischer Hilfsmittel, um das zu erkennen. Dann ist der weiße Stiel von abgefallenen Sporen schwarz punktiert und das unterscheidet ihn auch vom Braunschuppigen Tintling (C. romagnesianus), der wie der Faltentintling einen glatten Stiel und glatte Sporen hat.
1989 musste ich meinen Wohnsitz von Buchschlag nach Dietzenbach verlegen, habe den Fundort am Kriegerdenkmal aber nie ganz aus den Augen verloren. Im Juni 2001 wuchs C. alopecia noch immer am gleichen Ahornbaum, obwohl sich sein Umfeld verändert hatte. Statt einer Rasenfläche befand sich hier nun eine Zierstrauchrabatte, doch der gärtnerische Eingriff hat den Pilz nicht vertreiben können und auch am Jacobiweiher hat er mehr als 10 Jahre an seinem Ahornbaum ausgehalten.
Am 27.10.2005 wurde die Art auch bei einer Exkursion am Franzosenberg bei Darmstadt (TK 6118.1.3) büschelig am Wegrand wachsend gefunden. Nach früheren Beobachtungen bei Ahorn und Buche war hier die Erle der Begleitbaum. Es war der vierte Fundpunkt in unserem Kartierungsgebiet. Der fünfte kam am 08.08.2010 hinzu. Bei einem ansonsten mykologisch unergiebigen Besuch des Jügesheimer Friedhofs fand ich ein hübsches Büschel, diesmal wieder unter einem mächtigen Ahornbaum.