Boletus luridus

Netzstieliger Hexenröhrling

Schaeff. 1774
Familie: Boletaceae
© Dieter Gewalt
Neuer Name: Suillellus luridus
luridus = blassgelb, fahl

Bei diesem Anblick musste ich einfach scharf bremsen und vom Fahrrad absteigen. Mitten in Dietzenbach in einem kleinen Vorgarten mit einer noch kleineren Rasenfläche tummelten sich mehr als ein Dutzend Dickröhrlinge, die auf den ersten Blick als Netzstielige Hexenröhrlinge auszumachen waren. Ungehinderte Zugangsmöglichkeit erlaubte es, dises Ensemble für ein erstes Foto zu arrangieren. Das Pärchen rechts wurde dann noch einmal für eine Porträtaufnahme anvisiert.

Der Netzstielige Hexenröhrling ist der Doppelgänger des Flockenstieligen, doch die Unterschiede zu diesem sind augenfällig. Statt rote Flöckchen hat er ein rötliches Netz am Stiel, die Hutoberflächer ist von einem deutlich helleren Braun und die Poren des Schwamms sind eher orange als rot gefärbt. Hinzuzufügen wäre noch, dass der Netzstielige Hexenröhrling kalkhaltige Böden zum Wachstum benötigt, der Flockenstielige dagegen saure.

Abb. rechts: Aquarell von Claus Caspari aus Knaurs Pilzbuch von Linus Zeitlmayr (1955)

Der einzige Makel, der dem Pilz angeheftet worden ist, ist seine angebliche Giftwirkung im Zusammenhang mit Alkohol. In älteren Pilzbüchern wurde generell davor gewarnt, weshalb er für alle gestrichen war, die vor, während oder nach einer Pilzmahlzeit nicht auf ein Bierchen oder ein Glas Wein verzichten wollten. Es handelt sich hierbei um die sogenannte Antabus-Reaktion, bei welcher der Ethanolabbau im Körper gehemmt wird. Ewald Gerhardt hat es in seinem BLV-Intensivführer von 1985 so formuliert:

Auch wer vor oder nach der Mahlzeit Alkohol zu sich nimmt, muss mit Vergiftungserscheinungen rechnen.”

Dass nahezu alle Pilze roh giftig sind (als Ausnahmen merke man sich Zuchtchampignon und Steinpilz), ist eine Tatsache, die leider noch immer nicht allen Pilzsammlern bewusst ist. Auch die Giftwirkung mancher Arten im Zusammenhang mit Alkohol ist erwiesen. Die trifft beisielsweise auf den Faltentintling Coprinopsis atramentaria zu, jedoch nicht auf den Netzstieligen Hexenröhrling. Ich selbst erhielt Aufklärung in den 1980-er Jahren durch Walter Pätzold, dem damaligen Leiter der Hornberger Pilzschule. Er bezeichnete die alkoholabhängige Giftigkeit als Gerücht, das von Pilzbuchautoren seit Jahrhunderten ungeprüft voneinander abgeschrieben worden ist. Natürlich sind auch hier individuelle Unverträglichkeiten möglich, die bei allen Pilzen und Lebensmitteln vorkommen können. Man darf also sowohl den Flocken- als auch den Netzstieligen Hexenröhrling als ausgezeichnete Speisepilze bezeichnen, die von erfahrenen Sammlern liebevoll Flocken- und Netzhexen genannt werden und die in der Hoffnung, sie zu finden, auf “Hexenjagd” gehen.

Sporen des Netzstieligen Hexenröhrlings (REM-Foto: Stefan Diller)

Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Taxonomie. Vorerst belasse ich es im Fundkorb bei den traditionell für Boleten gebräuchlichen Namen, hier also Boletus luridus. Beim neuen Gattungsnamen Suillellus bekomme ich schon beim Lesen einen Knoten in die Zunge und muss unwillkürlich an Röhrlinge mit schmierigen Hüten denken, was bei den Netzhexen gewiss nicht der Fall ist. Den meisten Pilzfreunden ist es auch schwerlich zu vermitteln, dass sein Zwillingsbruder, der Flockenstielige Hexenröhrling, jetzt nicht mehr zur näheren Verwandtschaft gehören soll. Dieser wird jetzt Neoboletus erythropus genannt.

Belege (Exsikkate) sind hinterlegt in den Fungarien KR (Staatl. Museum für Naturkunde Karlsruhe), STU (Staatl. Museum für Naturkunde Stuttgart), TUF (Universität Tartu, Estland)

Weiterführende Literatur:

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Dieter Gewalt.
Zuletzt aktualisiert am 24. März 2022