Auricularia auricula-judae

Judasohr

(Bull.) Quél. 1886
Familie: Auriculariaceae
© Dieter Gewalt
auricula-judae = Ohr des Judas
Judasohren im Stadtgebiet von Frankfurt zwängen sich durch einen Maschendrahtzaun (Foto: Ralph Dahlke)

Warum es ausgerechnet das Ohr des Judas sein musste, war mir lange ein Rätsel (Auflösung weiter unten), aber dieser Pilz hat in der Tat die Form eines Ohres. Dank seiner Formenvielfalt, auch was die inneren Falten und Verschnörkelungen betrifft, findet man immer mal wieder Exemplare, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit menschlichen Gehörmuscheln haben.

Die Chance, solche “Ohren” in der Natur zu entdecken, stehen gut, denn der Pilz ist zumindest im Rhein-Main-Gebiet überaus häufig wenn auch leicht zu übersehen. Außerdem ist er praktisch das ganz Jahr über zu finden und was die Baumpartner betrifft, ist er nicht wählerisch. Tote Holunderstämme und -äste sind zwar sein eindeutig bevorzugtes Substrat, aber manchmal sind Stämme und dickere Äste von Buchen üppig mit besonders großen Exemplaren bewachsen. Die Liste der Bäume, an denen Judasohren wachsen können, liest sich wie ein Verzeichnis aller in Mitteleuropa vorkommenden Arten, die Blätter haben. Sogar an Waldreben habe ich sie schon gesehen, die bekanntlich zu den Lianen gehören. In Dietzenbach brauche ich nur vor die Haustür zu gehen, um sie an verholzten Stängeln von Berberitzen zu finden. An ihnen bildet das Judasohr allerdings nur sehr kleine Fruchtkörper. An Nadelhölzern wird man sie dagegen kaum oder höchstens als sogenannte “Übersteiger” finden. In Thailands tropischen Wäldern habe ich sie in schier unglaublichen Mengen gesehen.

Judasohren am Wollwiesenteich (Dietzenbach
An dünnen Stängeln bildet das Judasohr auffallend kleine Fruchtkörper aus (hier: an Berberitze)

Jeder Gast von asiatischen Restaurants kennt sie als “Chinamorcheln”. Mit echten Morcheln sind sie aber nicht im Entferntesten verwandt. Unter dem Namen “Mu-Err” (= Holzohr) werden sie aus China importiert, wo sie eine lange Tradition als Vitalpilz haben. Sie werden auch in Europa erfolgreich gezüchtet und als “Kraftwerk für die Gesundheit” vermarktet. Als Speisepilz wird das Judasohr unterschiedlich bewertet. Einen nennenswerten Geschmack wird man ihm kaum attestieren können, aber wegen seiner besonderen Konsistenz wird er vor allem in asiatischen Gerichten geschätzt. Karin Montag hat es so formuliert:

Das Judasohr schmeckt praktisch nach nichts. Wenn man es zu braten versucht, zeigt es eine sprunghafte Tendenz zur Pfannenflucht. Es versucht sich durch einen beherzten Sprung in die Freiheit zu retten.”

Es lässt sich leicht trocknen. Auch in der Natür können die Fruchtkörper mehrfach komplett austrocknen und wieder aufquellen.

Abb. links: Ganz junge „Judasöhrchen“ -- Abb. rechts: „Spitzenreiter“

Das Judasohr wurde von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie zum Pilz des Jahres 2017 gewählt. In der zu diesem Anlass herausgegebenen Pressemitteilung wird auch auf die Entstehung des deutschen Volksnamens eingegangen. Der Sage nach soll sich Judas Iskariot, der Jesus mit einem Kuss verraten hatte, aus Gram an einem Holunderbaum erhängt haben.

Judasohren steif gefroren im Winter

Weiterführende Literatur:

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Dieter Gewalt.
Zuletzt aktualisiert am 9. Juni 2021