Über Sinn und Unsinn von Sammelverboten

von Helgo Bran, Biologe aus Freiburg i. Breisgau

Im September 2008 sind der Sammelleidenschaft von Pilzfreunden im Südwesten Deutschlands erneut Grenzen gesetzt worden. Eine Verordnung des Landratsamts Lörrach besagt, dass nur ein Kilogramm pro Person und Tag gesammelt werden darf. Begründung der Naturschutzbehörde: man müsse der Pilzflora eine Überlebenschance geben. Ähnliche Schutzvorschriften werden auch andernorts diskutiert und erwogen. Dabei stellt sich die Frage, ob derartige Beschränkungen überhaupt Sinn machen und dem Wohl der Pilze dienen.

Pilze sind, biologisch betrachtet, keine Pflanzen und Pilzfruchtkörper keine Individuen. Pilze kann man nicht wie z. B. Edelweiß schützen. Dies hat man zwar erst vor wenigen Jahrzehnten klar erkannt, ist in der Wissenschaft nun aber einhellige Meinung. Pilze leben ganz anders als Pflanzen. Was wir aus dem Erdboden oder aus Holz als Pilze heraustreten sehen, sind nicht die eigentlichen Pilzwesen. Es sind lediglich die unter bestimmten Umständen gebildeten, meist kurzlebigen Fruchtkörper der in Holz oder Streu als Myzel oder aber als Mykorrhiza um die Feinwurzeln von Bäumen jahrelang weiterlebenden, meist unscheinbaren Organismen.

Manche Pilzmyzelien werden Jahrtausende alt, schieben aber nicht in jedem Jahr Fruchtkörper ans Tageslicht. Die Pilzfruchtkörper sind also etwas Änliches wie Äpfel an einem Apfelbaum. Der Apfelbaum lebt gut weiter, gerade wenn er einmal keine Früchte gezeitigt hat. Wenn er aber trägt, ist es für ihn das Beste, wenn man all seine Früchte pflückt oder aufliest. Schon um die Vermehrung von Fruchtfäulepilzen oder Insektenmaden (Apfelwickler!) zu mindern und sich entsprechende Spritzungen zu ersparen. Auch für Pilze ist es das Beste. Ihre Fruchtkörper werden – rechtzeitig vor dem Verderben oder den Schnecken und Pilzkäfern – hochgehoben, beguckt, berochen, gleich im Wald geputzt und in möglichst luftdurchlässigen Körben davongetragen. So können sie am ehesten ihre Sporen weit verbreiten. Denn für das Wiedererscheinen an Ort und Stelle sind die Sporen ja keineswegs nötig. Sie haben lediglich für die Fernverbreitung und den Austausch der Gene zu sorgen.

Mit gründlicherem Nachdenken und mit den Werkzeugen der Wissenschaft analysiert, sind also all die so lieb daherkommenden Aufrufe – seit über 80 Jahren! – zu Schonung und Schutz von Pilzen als unsinnig, ja kontraproduktiv zu erkennen: Orchideen, Weinbergschnecken, Wale sind Individuen und in vielen Fällen schützenswert, Pilze aber „wollen“ rechtzeitig von uns gepflückt oder aber z. B. von Eichhörnchen zum Trocknen in Astgabeln gehängt werden! Für Pilzfliegen und -käfer, Milben, Schnecken und Wildschweine bleiben dann immer noch mehr als genug übrig. Denn wir Pilzsucher begehen höchstens zwei Prozent unseres relativ riesigen Schwarzwalds – die steilsten Stellen und die vielen Flächen voll totem Astwerk u. ä. sowieso nicht. Entsprechende Hinweise und Empfehlungen gebe ich seit über 15 Jahren bei all meinen öffentlichen Vorträgen und Pilzexkursionen – auch im Landkreis Lörrach! Auf meinem dabei an die Teilnehmer verteilten „Arbeitsblatt“ heißt es auch in Fettdruck:

Pilze sind nicht schonungs- oder schutzbedürftig!

Viel wichtiger, als Pilze selbst schützen zu wollen, ist der Schutz verschiedener Biotope, die sie zum Leben benötigen und die leider oft großräumig vom Menschen zerstört werden. Doch wie stehen die Chancen für solchen Biotopschutz, so lange die weltweite Bevölkerungsexplosion anhält und wir Menschen meinen, immer höhere Ansprüche stellen zu dürfen?

Wenn wir von einem als selten angesehenen Pilz an einer entdeckten Vorkommensstelle, vielleicht unbedacht oder in einem Anfall von Gier, alles „abräumen“, so ist das zwar egoistisch und unkollegial: es ist schade, aber es schadet nicht dem Fortbestand der Rarität. Wie viele Rote-Liste-Arten und im Naturschutzgesetz aufgeführte Formen finden wir doch immer wieder selbst in stärker besammelten Gebieten und erst recht im meist vernachlässigten Grasland! Die einzigen Spezialisten, auf die wir in den letzten Jahren seltener stoßen, sind die anthrakophilen, also Brandstellen bewohnenden Pilze. Ist dies denn verwunderlich angesichts der derzeitigen hysterischen Einstellung gegenüber Rauch und Verbrennen?

Noch nie konnte jemand meine Argumentation entkräften. In der Pilzfachzeitschrift „Der Tintling“ (Nr. 55 vom 27.06.2008) schreibt nun auch die Herausgeberin Karin Montag: „Mit der Aussage von Helgo Bran, Freiburg, gehe ich übrigens konform: Pilze werden durch das Sammeln nicht ausgerottet, ganz im Gegenteil.“

(Dezember 2008)